Artur Nickel – Ehrenpreis zum Literaturpreis Ruhr 2025
(Ralph Köhnen)
Liebe Gäste,
viele glauben das ja immer noch: Bücher fallen fertig geschrieben und verpackt vom Himmel – und da sind sie dann. Oder wenn sie jemand schreibt, sind das einsame, etwas wunderliche Menschen, die nächstens in der Dachstube hocken, sich dabei von der Muse küssen lassen, oder vielleicht in staubigen Arbeitszimmern sitzen, bestenfalls in Avantgarde-Cafés – so stellt man sich das landläufig vor. Und das Lesen entsprechend: auf dem Sofa, unter einem Baum, vorm Einschlafen usw. – alles Stilleben der Einsamkeit.
Aber es geht auch anders. Schreiben kann auch sein: soziale Energie, man kann es zusammen unternehmen, interaktiv, wie es in der Branche heißt, und auch ganz ohne KI. Irgend jemand aber muss es auch machen.
Zum Glück gibt es Lehrer, die von ihrem Beruf nicht über- oder ausgelastet sind, sondern noch Freiräume bauen, die zu ihrer Arbeit gehören. Artur Nickel ist es so ergangen – er hat in Essen an der Erich-Kästner-Gesamtschule von 1991 bis De und Reli unterrichtet und dies vor allem als Chance gesehen, Literatur zu leben, mitzuteilen und zu verbreiten. Dabei hat er sich zum Beispiel einen Ruf als Autor erarbeitet (besonders seine Bände ruhreinwärts verdichtet und perspektiven/wechsel liegen mir nahe). Dafür wird er aber heute nicht ausgezeichnet (vielleicht beim nächsten Mal), sondern für seine vielfache Agentenschaft als Literaturvermittler – und dort für eigentlich alles, was man im Literaturbereich so machen kann.
Ausgangspunkt für alle literarischen Aktionen war, dass Artur Nickel an dieser Gesamtschule 2000 eine intensive Kulturarbeit unter dem Titel Essener Autor:inennschule begründete, wobei Autorinnen und Autoren an die Schule geholt wurden, damit sie mit Jugendlichen Texte produzieren und bis zum Druck begleiten. Der Verlagsleiter Alfred Büngen – der Leiter des Geest Verlage bis heute ein wichtiger Weggefährte – führt die Kinder in die Druckkosten-Kalkulation ein, dann fahren sie zum Verlag, wo das Buch gedruckt und schließlich auch von ihnen verkauft wird. Schon das erste Projekt 2004 mit Ralf Thenior, Von Quatschnachrichten, Wollmäusen und Rentnerchips, hat den bundesweiten Jugendkulturpreis Kinder zum Olymp gewonnen. Eine neue Art, zu unterrichten, um damit wirkliche Teilhabe an der Öffentlichkeit möglich zu machen.
So auch das von Artur Nickel begründete EKG-EssenerKulturGespräch, womit der Fachunterricht an Schulen durch Kulturarbeit attraktiver gemacht werden sollte. Von 2000 bis 2020 entstanden daraus an seiner Schule jährlich 10- 15 Ausstellungen, Lesungen, Theateraufführungen und andere Veranstaltungen.
Der bis heute sichtbarste Beitrag aber sind wohl die Essener Anthologien, 2005 gegründet und mitgetragen vom Essener Kulturzentrum Grend und natürlich Alfred Büngen. Unter einem bestimmten Motto konnten und können Jugendliche zwischen 10 und 20 Jahren aus dem ganzen Ruhrgebiet in jährlicher Ausschreibung Beiträge einsenden, von denen eine Auswahl bearbeitet und dann veröffentlicht wird. Der erste Band Fremd und doch daheim gibt 2005 ein interkulturelles Leitmotiv vor, die jüngste Ausschreibung aus diesem Jahr lautet Mein Heute und Morgen an der Ruhr. Bei diesem Projekt sind viele Kooperationspartner zwischen den Kulturen beteiligt, die sich mit eigenen Veranstaltungen einbringen. Die Titel sind konkret und hinreichend offen, damit sich möglichst viele beteiligen können – 2000 Autorinnen und Autoren sind es mittlerweile!
Die Jahresausgaben führen Artur Nickel im Understatement als Herausgeber an. Er ist zugleich aber Organisator der Schreibrunden, Lektor aller Texte und Mentor für die jugendlichen Autor:innen und Leiter der Lesungs- und Präsentationsveranstaltungen gewesen.
Und weitere Schreibprojekte sind zu bestimmten Anlässen durchgeführt worden – so zum Beispiel für ukrainische Jugendliche mit dem Ukrainischen Germanistenverband oder für arabische Frauen mit dem Deutsch-Tunesischen Verein Essen.
Eine neueste Nachricht: Soeben hat Artur Nickel gemeinsam mit Gemma Russo-Bierke vom „Grend“ eine Initiative gestartet, um Literatur verstärkt nach Essen-Steele zu bringen: spread the word – Raum für Literatur. Start war jetzt am 4. Sept. mit der Eröffnung der Ausstellung „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Das Grundgesetz in Essen“.
Und so werden die Nachrichten von seinen Projekten nicht abreißen. Gefördert wird mit alldem etwas, was uns die KI-Produktion von Texten wegoperieren möchte: nämlich das Schreib-Denken, das Finden von Gedanken beim Schreiben, das wortwörtliche auf-die-Reihe-bringen von Erfahrungen und Anforderungen an den jugendlichen Horizont oder den erwachsenen, privaten und interkulturellen Alltag. Solches Schreiben zu fördern und Literatur zu verbreiten, das ist dann eben gerade nicht: einsam. Sondern Teilhabe an der Gegenwart und insofern: eingreifende Praxis, Arbeit an der polis.
Ich freue mich über die Entscheidung der Jury – herzlichen Glückwunsch, Artur Nickel!