Pädagogische Handreichungen zu den Essener Anthologien 'Was mich in diesen Zeiten voranbringt!'

Pädagogische Handreichungen
Essener Anthologien
'Was mich in diesen Zeiten voranbringt!'


Sehr geehrte Damen und Herren,

nach dem großen Erfolg der letzten Essener Anthologie mit dem Titel „Vom Wachsen und Werden!?“ wollen wir jetzt ein neues Buchprojekt für Kinder und Jugendliche zwischen zehn und zwanzig Jahren aus dem Ruhrgebiet starten, es ist bereits das neunzehnte. Diesmal geht es um das, was uns in diesen recht schwierigen Zeiten voranbringt und uns Halt gibt. Und wieder wollen wir mit Ihnen gemeinsam etwas Besonderes schaffen. Sie, sehr verehrte Damen und Herren, haben Kontakt zu jungen Menschen. Deshalb bitten wir Sie um Ihre Unterstützung und um Ihr Engagement!

Was wir wollen

Mit dieser Buchreihe und insbesondere mit diesem neuen Buchprojekt wollen wir gerne

•     Kinder und Jugendliche mit und ohne Migrationsgeschichte in der Familie zum freien
Schreiben anregen,
•     ihnen bis in bildungsferne Schichten hinein über das Schreiben neue Perspektiven
eröffnen, wie sie sich mit ihren Vorstellungen und Bedürfnissen in unsere Gesellschaft einbringen können,
•     für sie Leistungsanreize schaffen, indem herausragende „literarische“ Einzelleistungen mit
der Aufnahme in die Anthologie belohnt werden,
•     ihnen ein literarisches Podium für eine gelungene Verständigung mit sich selbst und anderen
bieten,
•     Brücken bauen, wo es notwendig ist,
•     einen Beitrag zur ästhetischen Erziehung leisten,
•     auf literarischer Ebene Impulse für eine intensive Bildungsarbeit setzen.

Am Ende soll ein Buch stehen, in dem die interessantesten Texte veröffentlicht werden, die im Rahmen des Projektes entstanden sind.

Die Chance zur Standortbestimmung

Das Ziel dieser Reihe ist es, einen ganz besonderen Blick auf die Sichtweisen von Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund im Ruhrgebiet zu werfen. Was bewegt sie? Was fühlen sie? Wofür stehen sie? Wohin wollen sie? Es sind Fragen, deren Beantwortung für uns alle wichtig ist. Denn wie sie junge Menschen beantworten, zeigt an, wohin die Reise unserer Gesellschaft geht. Gelingt es, die Kinder und Jugendlichen in unsere Erwachsenenwelt zu integrieren? Werden sie ihren Platz in unserer Gesellschaft finden, egal, ob sie in Deutschland geboren wurden oder nicht?
Fast schon seismographisch zeigen die achtzehn Anthologien, die bisher erschienen sind, auf, was sich bei den Kindern und Jugendlichen im Ruhrgebiet verändert und wo sie Kontinuitäten bewahren. Das geschieht sicherlich nicht mit Hilfe wissenschaftlich-exakten Methoden, wohl aber sehr persönlich und authentisch. Auf diese Weise sind die Essener Anthologien, die Ruhrlesebücher, mit ihren inzwischen über knapp zweitausend veröffentlichten Texten geradezu zu einem Schatz der Jugendkultur geworden. Es ist wohl die einzige Buchreihe in der Bundesrepublik Deutschland für diese Altersgruppe, die so lange existiert und wirkt! Das jeweils neue Thema entsteht dabei immer wieder in Auseinandersetzung mit dem, was an Beiträgen für die letzte Anthologie erschrieben worden ist und was sich vor diesem Hintergrund an zentralen Fragen stellt. Genauso ist es auch bei dem neuen Buchprojekt.

Die bisherigen Titel:

„Fremd und doch daheim?!“, Vechta 2005,
„Dann kam ein neuer Morgen“, Vechta 2006,
„Heute ist Zeit für deine Träume“, Vechta 2007,
„Pfade ins Revier – Pfade im Revier“, Vechta 2008,
„Ruhrkulturen. Was ich dir aus meiner Welt erzählen möchte“, Vechta 2009,
„Märchenhaftes zwischen Emscher und Ruhr“, Vechta 2010,
„Zwischen meinen Welten unterwegs“, Vechta 2011,
„Wenn Wasser erzählt“, Vechta 2012,
„Dann öffnete sich mir die Tür“, Vechta 2013,
„Wie die Zeit vergeht“, Vechta 2014,
„Was mir Hoffnung macht“, Vechta 2015,
„Von Grenzen und Grenzverschiebungen“, Vechta 2016,
„WER ich WO bin?!“, Vechta 2017,
„Vom Glück und seinen Launen“, Vechta 2018,
„Ich begann zu erzählen“, Vechta 2019,
„Auf-BRUCH in meine Zukunft“, Vechta 2020,
„Punkt. Kinder und Jugendliche aus dem Revier mischen sich ein“, Vechta 2021,
„Vom Wachsen und Werden!?“, Vechta 2022.

Das neue Schreibprojekt

„Was mich in diesen Zeiten voranbringt!“ heißt das neue Thema. Es erwächst aus dem vorherigen „Vom Wachsen und Werden!?“, richtet aber den Blick stärker auf die derzeitige gesellschaftliche  Situation, in der Jugendlichen leben, und darauf, wie sie mit ihr umgehen. Sie ist nämlich anders als früher, und das ist bemerkenswert. Geprägt ist sie im Wesentlichen durch drei Aspekte:
1.    Seit einem Jahr tobt in der Ukraine ein erbitterter Krieg, wie man ihn seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr für möglich gehalten hat. Der russische Präsident Wladimir Putin hat die staatliche Existenz der Ukraine und auch ihre kulturell-sprachliche Identität in Frage gestellt. Das knüpft an finsterste NS-Zeiten an, auch wenn klar ist, dass es die NATO versäumt hat, Russland und die ihm angeschlossenen Staaten nach dem Zerfall der Sowjetunion angemessen in die europäische wie globale Nachkriegsordnung einzubinden. Die Jugendlichen heute sind direkt mit den Folgen dieses Kriegs konfrontiert, denken wir an die vielen Gfeflüchteten, an die Inflation und … und … und …
2.    Noch immer prägt Corona das Leben der Kinder und Jugendlichen. Sie hatten wie alte Menschen besonders stark unter der Pandemie zu leiden. Monatelang kein Schulbesuch, kein Sport, kein Treffen mit Freundinnen und Freunden, Leben in den Wohnungen, oftmals auf engstem Raum, zurückgeworfen auf sich selbst. Selbst dann, wenn sie nahe Angehörige verloren oder sie selbst krank wurden. Das traf, wie vor allem bei den schulischen Leistungen zu spüren ist, vor allem die sozial Schwachen unter ihnen und diejenigen, die eine andere Muttersprache sprechen. Sie verloren oftmals den Anschluss und sind teilweise sogar richtig vereinsamt und depressiv geworden, weil ihnen die Kontakte fehlten, um mit anderen über ihre Schwierigkeiten zu sprechen und Ängste abzubauen. Die Erwachsenen hatten ja oftmals selbst zu kämpfen.
3.    Immer stärker spüren die Jugendlichen auch hier in Deutschland den sich anbahnenden Klimawandel. Da sind die starken Hitzeperioden auf der einen und die Flutkarastrophen auf der anderen Seite. Das Wetter spielt ganz offensichtlich verrückt, es wird wärmer und wärmer, jedenfalls im Schnitt.   Es ist deutlich, dass die derzeitigen Bemühungen um einen besseren Klimaschutz nicht ausreichen, dass es immer noch zu viele gibt, die auf Kosten des Allgemeinwohls ihr eigenes Süppchen kochen. Problematisch ist das gerade für Jugendliche, weil die Erfolge einer veränderten Klimapolitik ja sowieso erst Jahre später sichtbar werden. Erst dann zeigt sich, ob sich der CO2-Ausstoß tatsächlich vermindert hat. Das erzeugt noch mehr Unsicherheit und Angst vor der Zukunft, als sie sowieso schon gegeben ist.
Das alles erleben die Kinder und Jugendlichen, und dazu durchlaufen sie noch wie alle ihre Altersgenossinnen und -genossen die psychosozialen Entwicklungsschritte vom Kindesalter über die Pubertät bis ins Erwachsenenleben mit ihren jeweiligen Fragestellungen, auf die sie ihre persönliche Antwort finden müssen. Das ist alles ziemlich viel. Und so durchleben viele von ihnen eine Zeit extremer Verunsicherung und großer Ängste. Sie müssen Defizite aufarbeiten, sich ihrer besonderen Reailität stellen und gleichzeitig schauen, wie sie persönlich vorankommen. Das ist ganz schön schwer. Denn je nach dem, wie sich die einzelnen Parameter entwickeln, hat das ja Konsequenzen für ihren weiteren Weg.

Bei uns im Ruhrgebiet

Gerade bei uns im Ruhrgebiet ist die Frage nach dem , was uns trägt, von noch viel größerer Bedeutung. Viele Menschen sind ins Revier eingewandert, um hier bei Kohle und Stahl ihr Auskommen, ihre Zukunft zu finden. Andere kamen, weil sie woanders verfolgt wurden und bei uns Sicherheit für sich und ihre Familien suchten. Das begleitet uns schon lange. Die Frage nach dem, was uns Halt gibt, ist daher die Existenzfrage des Ruhrgebiets schlechthin, und zwar mit allen dazugehörenden Schwierigkeiten und Konflikten. Wie sie beantwortet wird, zeigt an, warum so viele Menschen unterschiedlicher Religionen und Kulturen bei uns zusammenleben konnten. Und das gilt nach dem Ende des Bergbaus in unserer Region umso mehr.
Die Jugendlichen, die bei uns zu Hause sind, sind mit dieser Frage groß geworden. Sie erleben sie, sie erleiden sie, wie auch immer. Insofern dürfte das, was sie dazu zu sagen haben, besonders interessant sein in unserer global zugespitzten Situation. Wie gehen sie mit den existentiellen Bedrohungen um? Wie bewältigen sie ihren Alltag? Was hilft ihnen? Welche Richtung schlagen sie ein? Oder stehen sie dieser sich zuspitzenden gesellschaftlichen Situation wie viele von uns Erwachsenen auch eher hilflos gegenüber? Zu fragen ist ja zudem, wie sich das alles auf das Zusammenleben der verschiedenen Kulturen bei uns auswirkt! Was lebt bei den Kindern und Jugendlichen weiter? Was nehmen sie mit? Wie wehren sie sich gegen Unzumutbarkeiten? Welche zukünftigen Perspektiven eröffnen sich ihnen gerade bei uns im Revier? Nehmen sie ihr Schicksal in die eigene Hand? Der Schmelztiegel Ruhrgebiet steht da für sich.
Das aber sind nur einige Ansätze, auch anderes ist denkbar. Im Mittelpunkt sollte auf jeden Fall das stehen, was den Jungautorinnen und -autoren auf dem Herzen liegt.

Zum literarische Schreiben
 
Das neue Schreibprojekt der Essener Anthologien möchte die Kinder und Jugendlichen, die bei uns im Rjhrgebiet leben, auf seine Weise unterstützen. Es bietet ihnen auf literarisierender, ja, literarischer Ebene ein Reflexionspodium an, um sich zu den Fragen zu äußern, die sie vor dem Hintergrund der aktuellen Situation beschäftigen. Es gibt ihnen die Gelegenheit, sich mit ihnen auseinanderzusetzen und vorwärtszukommen. Gerade literarisches Schreiben ist für Kinder und Jugendliche dabei eine wertvolle Chance. Es ist nicht, wie wohl oft im Schulunterricht, Mittel zum Zweck, um etwa zu überprüfen, wie ein Märchen gebaut ist, sondern es gewinnt seinen Wert aus sich heraus. Deswegen wird es als literarisches Schreiben bezeichnet. Jeder Einzelne soll zu Wort kommen, ja, zum Wort in dem, was ihm wichtig ist und worüber er sich äußern möchte. Vielleicht sogar jenseits aller Narrative und Konventionen, die uns prägen und womöglich unser Eigenes zu verschütten drohen! Ein selbstbestimmtes Schreiben ist gefragt, eines, das nicht gleich von außen gesetzte Erzähl- und Schreibnormen einfordert, sondern die innere Konsistenz eines Schreibvorgangs in den Mittelpunkt rückt und diesen unterstützt. Aus dem, was inhaltlich mit ihm ausgedrückt werden soll, ergibt sich logisch, welche sprachlichen und formalen Mittel  in dem entstehenden Text zu verwenden sind. Für alles andere gibt es das Lektorat. Und so kann das Erzählen (auto-) biografisch sein, muss es aber nicht. Denkbar ist genauso gut ein fiktives Erzählen oder eines, das noch ganz anderen Kriterien folgt, je nach Wunsch des/der Schreibenden. Natürlich heißt das nicht, dass die Kinder und Jugendlichen alles, was sie in der Schule und sonst wo an Erzähltechniken gelernt haben, beiseitelegen müssen; sie können und sollen das Gelernte durchaus im intendierten Sinne nutzen. Das versteht sich von selbst. Entscheidend ist, dass sie wirklich zu Wort kommen mit dem, was sie uns mitteilen wollen. Das ist wichtig.

Worum es genau geht

Dabei kann vieles auf den Tisch kommen, je nach dem, was den Jungautorinnen und -autoren auf der Seele brennt und was sie intensiv beschäftigt. Manchmal sind es vielleicht kleine Erlebnisse, die sie innerlich berühren, manchmal aber auch äußere Widerfahrnisse, denen sie sich stellen müssen. Mal geht es um kleine Beobachtungen, die interessant und mitteilenswert erscheinen; mal sind es Schicksalsschläge, die sie aus der Bahn werfen und von ihnen eine Neuorientierung verlangen, oder einfach nur Gefühle oder Träume. Es sind äußere Vorkommnisse wie innere Prozesse gleichermaßen, denen sie sich stellen müssen, und von ihnen können sie schreiben. Denn das hilft. Das geht Kindern und Jugendlichen genauso wie uns Erwachsenen. Zum einen können sie das Dargestellte, indem sie es aufschreiben, loslassen und besser bewältigen. Zum anderen können sie damit auch Dinge im Wortsinn zur Sprache bringen, die ihnen noch nicht so klar sind. Dann können sie sich auf diesem Weg auch positionieren und einen Standpunkt beziehen, etwa zu einem Vorfall, der sie umtreibt. Sie können sich sogar, indem sie dies tun, in eine bestimmte Tradition stellen und deutlich machen, dass sie sich mit ihr identifizieren oder gerade dies eben auch nicht tun. Und schließlich können sie erzählend auch etwas entwerfen, das vielleicht erst in der Zukunft für sie relevant wird. Das Schreiben unterstützt sie entwicklungspsychologisch auf ihrem Weg ins Erwachsenwerden; es hilft ihnen, ihren persönlichen Lebensentwurf zu finden und vorwärtszukommen. Und vielleicht – auch damit ist zu rechnen – entsteht auf diese Weise auch ein Stück richtig guter Literatur.
Wenn sich Kinder und Jugendliche damit auseinandersetzen, was sie in diesen Zeiten voranbringt, so berührt das zentrale Fragen ihrer Existenz.  Wie sie sie beantworten, entscheidet darüber, welche Zukunft sie haben werden. Zwischen Brüchen und ungeahnten Möglichkeiten, wenn es gelingt, die Stolpersteine zu überwinden und den Fallstricken des Lebens zu entkommen. Und manchmal eröffnet sich gerade dadurch auch ein Weg, der nicht nur zum erstrebten Ziel, sondern darüber hinausführt, weil er neue Perspektiven eröffnet. Der Schweizer Autor Peter Bichsel sagte schon 1982 in seinen Frankfurter Poetik-Vorlesungen: „Wer sich auf das Erzählen einlässt, der (...) tut es, um sein Leben zu leben.“ (P. B., Der Leser. Das Erzählen, Darmstadt und Neuwied 1982). Dieser programmatische Satz könnte auch für das stehen, was die neue Ruhrgebietsanthologie will. Wenn junge Menschen anfangen zu erzählen, wenn sie beginnen literarisierend und literarisch zu schreiben, dann sind das keine Fingerübungen. Schon gar nicht, wenn es um ihre Belange geht. Denn in ihren Texten setzen sie sich mit ihren Erfahrungen auseinander und beziehen diese auf ihre Wirklichkeit. Was sie erzählen und wie sie dies tun, spiegelt also viel von dem, was in ihnen vorgeht. Und das ist wichtig, damit sie ihre persönliche Zukunft in unserer Gesellschaft finden. Wie verarbeiten sie das, was sie erlebt haben? Wie beschreiben sie, was gewesen ist? Welche Worte finden sie für die Fakten, welche für das, was es zu gestalten gilt? Welche Erkenntnisse führen sie weiter? Gehen sie auf eine Fantasiereise oder bleiben sie im Hier und Jetzt stecken? Welche (literarische) Formkraft entwickeln sie, um das darzustellen, was sie darstellen wollen?

Mögliche didaktische Leitfragen

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie Kinder und Jugendliche die Geschichte finden, die sie erzählen wollen oder sollen.  Dafür bieten sich verschiedene Ansatzpunkte an. Da ist zunächst einmal die Alltagserfahrung der Jugendlichen, das, was sie tagtäglich erleben, womit sie sich auseinandersetzen. Das kann sehr unterschiedlich sein, je nachdem, welche Perspektive sie einnehmen. Die einen engagieren sich vielleicht in einem Verein oder ihrem Jugendclub, die anderen in ihrer Kirchen- oder Moscheegemeinde oder ihrer Synagoge. Wieder andere leben, aus welchem Grund auch immer, in prekären Verhältnissen und müssen jeden Tag um ihren ganz konkreten Weg in den Tag kämpfen. Die nächsten haben vielleicht mit ihren Familien Fluchterfahrungen sammeln müssen, sind traumatisiert und müssen sich zwischen dem Alltagsrassismus bei uns und dem aufkeimenden Nationalismus tagtäglich zurechtfinden. Und dann gibt es noch welche, die durch alle gesellschaftlichen Maschen fallen und alleine dastehen, ohne zu wissen, wie es für sie in ihrer Situation vorwärtsgeht.
Ein weiterer Ansatzpunkt ist die Auseinandersetzung mit der eigenen religiösen und kulturellen Tradition, mit dem, was sie mitbringen, teilen und was sie in der eigenen Familie leben. Was hat Bestand, weil es einen hält und in die Zukunft trägt? Was muss abgestreift und beiseitegelegt werden, weil es zum Ballast, zum Hemmschuh geworden ist? Trägt die Antwort, die die eigene Religion auf die Lebensfragen gibt, oder nicht? Was bewährt sich im Alltag und hält einen fest? Oder steht man an einem Punkt, bei dem es keinen Ausweg mehr gibt? Das betrifft das eigene Selbst, aber auch unsere gesellschaftlichen, ja auch weltweiten Zukunftsfragen, die auf ihre Beantwortung warten. Es geht um den Punkt, den eigenen, an dem man steht!  Denkbar ist vieles.
Ein interessantes Feld bietet sich auch, wenn sich die Kinder und Jugendlichen schlicht mit ihren Stimmungen und Gefühlen auseinandersetzen und von da aus versuchen, ihren Schreibansatz zu finden. Gerade Jüngeren könnte ein solches Vorgehen eine Brücke bauen.

Wie erzählen

Natürlich steht es jedem Jugendlichen frei, sich diesem Thema so zu nähern, wie er es gerne möchte. Gleichwohl dürften manchmal Tipps sinnvoll sein, um Wege zu zeigen, wie man diese Thematik angehen kann. Und manchmal geht es ja vielleicht auch darum, Schreibblockaden aufzulösen und Schreibwege zu finden, die aus einer Sackgasse herausführen. Für die meisten ist ja vielleicht ein solches Schreiben noch eher ungewohnt:

1.    Kreativität lässt sich freisetzen, wenn eine Geschichte aus einer ungewöhnlichen Perspektive heraus erzählt wird, etwa aus der Sicht einer anderen beteiligten Person, eines Tieres oder gar eines Gegenstandes, der sich vor Ort befindet.
2.    Manchmal ist es sinnvoll, ein Geschehen in eine andere Zeit zu verlegen, um Zusammenhänge zu verdeutlichen oder Verbindungen aufzuzeigen. So kann eine Geschichte in eine vergangene, aber auch in eine zukünftige Zeit verlagert werden, um ihr neue Erzählräume zu öffnen.
3.    Ein interessanter Verfremdungseffekt entsteht, wenn die Handlung an einen anderen Ort verlegt wird. Vielleicht in eine andere Stadt, in ein anderes Land oder sogar auf den Mond!
4.    Auch aus der Wahl der Gattung heraus lassen sich viele Möglichkeiten der Darstellung entwickeln. Denkbar ist es zum Beispiel, ein bestimmtes Geschehen nicht in die Berichtsform, sondern in ein Märchen zu gießen. Natürlich müssen solche Formen nicht vollständig ausgefüllt werden. Es geht vielmehr darum, dass die Jugendlichen für das, was sie erzählen wollen, die passende Form finden. Ein Märchen etwa ist ja nicht schon deshalb gut, weil es die Form erfüllt. Insofern kann es sinnvoll sein, Zwischenformen zu entwickeln.

Auf diese Weise können schreibend Wegmarkierungen gesetzt werden, Wegweiser und anderes mehr, was weiterhelfen kann. Vieles ist denkbar, und zwar jenseits dessen, was die Filmprogramme im Fernsehen oder im Netz bieten. Entscheidend ist für die Aufnahme ins Buch nicht, ob ein Text im Schuldeutsch fehlerfrei geschrieben oder formal perfekt ist, sondern vielmehr, ob er interessant ist und Inhalt, Form und Sprache einander entsprechen. Darauf ist zu achten. Geben Sie den jungen Schreiberinnen und Schreibern die Orientierungshilfen, die sie benötigen, um sie beim Schreiben zu unterstützen. Das ist für uns kein Ausschlusskriterium.

Die richtige Wahl des persönlichen Schreib-Ortes und der Schreib-Zeit

Eine besondere Bedeutung hat für diese Art des Schreibens der Schreib-Ort, also der Ort, an dem die Jugendlichen das, was sie mitteilen wollen, zu Papier bringen. Achten Sie bitte im Rahmen Ihrer Möglichkeiten darauf, dass die Jungautorinnen und -autoren einen Ort haben, an den sie sich zurückziehen können und an dem sie sich wohlfühlen. Was das für ein Ort ist, kann ja sehr unterschiedlich sein. Bei dem einen ist es das eigene Zimmer, bei dem anderen ein Lieblingsort irgendwo draußen.
Genauso ist es mit der Schreib-Zeit. Der eine braucht die Geräuschkulisse des Tages in der Umgebung, der andere die Stille der Nacht. Schaffen Sie, wenn möglich, die Rahmenbedingungen dazu, egal, ob es um ein Schreiben in der Schule oder in der Freizeit geht!

Ausblick

Und so lädt die neue Essener Anthologie alle Kinder und Jugendlichen zwischen zehn und zwanzig Jahren, die bei uns im Revier leben, dazu ein, sich mit dem Thema Was uns in diesen Zeiten voranbringt!“ auseinanderzusetzen und darüber zu schreiben. Was erleben sie bei sich und in ihrem Umfeld? Welche Erfahrungen sammeln sie? Wie gehen sie mit den daraus resultierenden Problemen um? Was zeigt sich beim Blick in den eigenen Spiegel? Vor allem, wenn die verschiedenen Erzähl- und Schreibkulturen, die es im Revier gibt, miteinander in Verbindung treten! Was wird da entstehen? Was die Jugendlichen uns über dieses Thema mitzuteilen haben, ist mit Sicherheit interessant auch über unsere Region hinaus. Vielleicht ist es beispielgebend. Wer weiß! Umso wichtiger ist es, das Ganze mit ihnen gemeinsam anzugehen!

Unsere Bitte

Aus diesem Grunde sprechen wir Sie, verehrte Moderatorinnen und Moderatoren, persönlich an! Geben Sie den Kindern und Jugendlichen in den Einrichtungen, in denen Sie arbeiten und mit denen Sie zu tun haben, Raum, sich mit der Thematik zu befassen! Davon auszugehen ist auf jeden Fall, dass das, was bei jungen Menschen auf erzählerischer Ebene passiert, in vielerlei Hinsicht sein Pendant bei ihnen selbst findet. Und das ist gerade für ihr Lebensalter wichtig. Es ist ein Schritt sprachlicher „Verortung“, der sie den Blick nach vorne richten und Perspektiven entwickeln lässt. Woher komme ich? Was will ich? Was kann ich? Wie kann ich das, was ich will, erreichen? Es sind Fragen, die ihnen Wege eröffnen, sich kritisch und selbstkritisch mit der eigenen Vergangenheit, der eigenen Gegenwart und der eigenen Zukunft zu befassen. Das gilt für alle, egal, wo sie geboren wurden oder woher sie stammen. Und das ist für jeden, der mit jungen Menschen zu tun hat und sich für ihre Belange interessiert, etwas, an dem er eigentlich nicht vorbeigehen kann. Er muss darum wissen, wenn er sie erreichen will.

Impulse für Ihre Arbeit mit Kindern und Jugendlichen

Dass sich aus dem, was Kinder und Jugendliche sich erdichten und erzählen, wichtige Impulse für die Kinder- und Jugendpolitik sowie die Integrationspolitik ergeben können, liegt auf der Hand. Allen Menschen und Institutionen, die mit jungen Menschen zu tun haben, wie Eltern, Schulen, Jugendgruppen, Migrantenvereinen bis hin zu den politischen Verbänden bietet das Buchprojekt eine Chance zur Standortbestimmung und zur Reflexion über das, was bisher in der Arbeit mit diesen Kindern und Jugendlichen erreicht oder auch nicht erreicht wurde. Das gilt sicherlich auch für Sie und die Institution, für die Sie tätig sind. Oder? Dann kann man darüber sprechen, welche Konsequenzen zu ziehen sind. Es geht um unsere Kinder und Jugendlichen! Und deshalb bitten wir Sie um Ihr Engagement und Ihre Unterstützung! Lassen Sie also die Kinder und Jugendlichen, mit denen Sie es zu tun haben, Texte schreiben! Entscheidend ist, dass sie auf irgendeine Weise mit dem Thema zu tun haben und interessant sind.

Ihre Aufgabe als Multiplikator

Bitte geben Sie den Kindern und Jugendlichen, mit denen Sie zu tun haben, Raum und Zeit, Texte zum Thema „Was mich in diesen Zeiten voranbringt!“ zu verfassen! Nutzen Sie Ihre Position als Lehrer/in, Jugendleiter/in, Sozialarbeiter/in, Erzieher/in, Elternteil, usw., ermutigen und beraten Sie sie! Ermuntern Sie sie, in der Sprache zu schreiben, in der sie sich zu Hause fühlen!
Bitte fordern Sie Flyer für die Weitergabe an Ihre Schüler/innen, Kinder und Jugendlichen an, mit denen Sie arbeiten oder zu denen Sie Kontakt haben. Geben Sie diese an sie weiter, laden Sie sie ein und leiten Sie die gesammelten Texte bitte weiter! Bitte wählen Sie diese nicht vorher aus! Schicken Sie uns möglichst alle Texte, die bei Ihnen entstanden sind! Oft genug gibt es auch bei scheinbar Schlechterem einige Beiträge, die trotz mangelnder Sprachrichtigkeit Interessantes aufzeigen! Manchmal muss das literarische Schreiben vielleicht noch geübt werden. Hilfestellung dazu bieten beispielsweise:

„Szenisches Schreiben im Unterricht“ von Thomas Richardt,
Seelze: Kallmeyer/Klett, Friedrich-Verlag GmbH 2011.
„Erzählendes Schreiben im Unterricht“ von Ulrike Wörner,
Seelze: Kallmeyer/Klett, Friedrich-Verlag GmbH, 2012.
„Lyrisches Schreiben im Unterricht“ von José F. A. Oliver,
Seelze: Kallmeyer/Klett, Friedrich-Verlag GmbH, 2013.
„Journalistisches Schreiben im Unterricht“ von Tilman Rau,
Seelze: Kallmeyer/Klett, Friedrich-Verlag GmbH, 2014.
„Literarisches Schreiben im Deutschunterricht“ von Ulf Abraham und Ina Brendel-Perpina,
Seelze: Kallmeyer/Klett, Friedrich-Verlag GmbH, 2015.
„Wort und Spiel im Unterricht“ von Timo Brunke,
Seelze: Kallmeyer/Klett, Friedrich-Verlag GmbH, 2015.
„Praxismaterial: Erzählendes Schreiben im Unterricht“, von Ulrike Wörner und Tilman Rau,
Seelze: Kallmeyer/Klett, Friedrich-Verlag GmbH, 2016.
„Praxismaterial: Erzählendes Schreiben im Unterricht“ von Ulrike Wörner und Tilman Rau,
Seelze: Kallmeyer/Klett, Friedrich-Verlag 2016.
„Praxismaterial: Journalistisches Schreiben im Unterricht“ von Tilman Rau,
Seelze: Kallmeyer/Klett, Friedrich-Verlag 2017.
„Identitäten – Dialoge im Deutschunterricht. Schreiben – Lesen – Lernen - Lehren“,
von Jörg Roche und Gesine Lenore Schiewer (hrsg.),
Tübingen: Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG, 2017.
„Religion, Flucht und Erzählung. Interkulturelle Kompetenzen in Schule und sozialer Arbeit
mit Geflüchteten“ von Harry H. Behr /Frank van der Velden (hrsg.),
Göttingen: V & R unipress GmbH, 2018.
„Praxismaterial: Szenisches Schreiben im Unterricht“ von Thomas Richardt,
Seelze: Kallmeyer/Klett, Friedrich-Verlag, 2. Aufl. 2018.
„Praxismaterial: Lyrisches Schreiben im Unterricht“ von José F. A. Oliver,
Seelze: Kallmeyer/Klett, Friedrich-Verlag GmbH, (März) 2020.

Aber auch sonst gibt es viele Bücher oder Internetadressen, die über das freie Schreiben und seine Möglichkeiten Auskunft geben.

Wichtige Hinweise

Selbstverständlich dürfen die Jugendlichen, vor allem die mit Migrationshintergrund, in der Sprache schreiben, in der sie sich zu Hause fühlen. In welcher, das sollte gegebenenfalls mit angegeben werden. Die für den Abdruck in der Anthologie ausgewählten Texte werden, wie im Verlagswesen üblich, Korrektur gelesen und den Jungautorinnen und -autoren noch einmal zur Kontrolle vorgelegt. Wenn Sie Fragen haben, dann melden Sie sich bitte bei uns! Wir beraten Sie gerne.

1 bis 3 Texte pro Person (jeweils max. 3 Din A4-Seiten).

Die Ausschreibungsfrist endet am 1. August 2023.


Die Adresse (zur Abgabe der Texte)
Kulturzentrum Grend
z. Hd. Artur Nickel
Stichwort „Jugendanthologie“
Westfalenstraße 311; 45276 Essen
Absender (Telefonnummer, Email-Anschrift und Alter nicht vergessen!)

Die Jugendlichen, deren Texte aufgenommen werden, werden schriftlich informiert. Wer an dem Projekt teilnimmt, erklärt sich damit einverstanden, dass sein Beitrag in dem Buch und in Verbindung damit gegebenenfalls auch in anderen Medien veröffentlicht wird. Eingesandte Texte können leider nicht zurückgeschickt werden, der Rechtsweg ist ausgeschlossen.

Weitere Infos

Im November 2023 soll die Anthologie erscheinen und in Essen mit einer öffentlichen Lesung in  der Volkshochschule Essen präsentiert werden. Das geben wir rechtzeitig bekannt. Danach kann es weitere Lesungen und Veranstaltungen im Ruhrgebiet geben, um das Buch zu präsentieren und die in den Texten angesprochenen Themen in Schulen und anderen Institutionen, die mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben, zu diskutieren. Natürlich können Sie, so Sie dies wollen, mit dem  Buch/den Büchern auch eigene Präsentationsformate in Ihrem Umfeld mit „Ihren“ Kindern und Jugendlichen entwickeln. Es gibt da bereits einige Vorbilder. Wenn Sie an all dem Interesse haben, Anregungen haben oder uns unterstützen möchten, wenden Sie sich bitte an uns! Das Gleiche gilt, wenn Sie andere Fragen zu dem Buchprojekt haben.

Wir sind gespannt auf die Texte und verbleiben
mit herzlichen Grüßen

Dr. Artur Nickel
(Herausgeber, Autor und Literaturvermittler)
44869 Bochum
Am Stenshof 117
Tel.: 0173-2625830
Mail: arturnickel@web.de(link sends e-mail)
www.arturnickel.de(link is external)

Gemma Russo-Bierke
(Geschäftsführerin)
Kulturzentrum Grend
Westfalenstraße 311
45276 Essen
Tel.: 0201-8513210
Mail: info@grend.de(link sends e-mail)
www.grend.de(link is external)

Alfred Büngen
(Verleger)
Geest-Verlag
Marienburger Straße 10
49429 Visbek
Tel.: 04445-385913
info@geestverlag.de(link sends e-mail)
www.geestverlag.de(link is external)
 

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